ONLINE DOSSIER: HERBERT GRÖNEMEYER
Podcast: Alles gesagt? / Interviewpodcast
Herbert Grönemeyer, warum werden Sie von den Deutschen so geliebt? (04/12/2018)
A German podcast by Jochen Wegner and Christoph Amend (ZEIT ONLINE).
3:49:21
JOCHEN WEGNER: »Sie leben davon […], dass Sie Ihre Gefühle uns Rezipienten öffnen. […] Die Leute denken zumindest, “Boah, das ist ein tolles Album und guck mal, was in seinem Leben vorgefallen ist.” […] Manchmal sagen Sie das sogar in Interviews, “Ja, das habe ich jetzt aus dem und dem Grund geschrieben. Da war ich sehr verliebt und habe das und das gedacht.” Das heißt, es gibt eine ganz komplizierte Balance, wann Sie sich […] öffnen, […] und wann nicht. […] Es ist Teil von Ihnen und Ihrer Kunst, dass Sie Ihr Leben mit uns teilen.«
HERBERT GRÖNEMEYER: »Nein. Das ist de facto falsch. Ich teile nicht mein Leben mit meinem Publikum. Sondern ich teile meine Kunst mit meinem Publikum. Ich stilisiere, ich beschäftige mich mit Themen. Auf der Platte Mensch beschäftige ich mich mit dem Thema Trauer. Ich erzähle nichts von meiner Trauer. Ich beschäftige mich mit dem Thema. Wenn ich über die Liebe schreibe, beschäftige ich mich mit dem Thema Liebe. Das ist eine Stilisierung. Ich singe keine Dokumentarfilme. Ich singe ganz klar Fiktion, Kinofilme. Ich bearbeite ein Thema. Jeder Autor oder jeder Filmemacher lässt sicherlich seine privaten Erlebnisse einfließen. Aber was er macht? Er macht eine Stilisierung. Wenn ich dokumentarisch singen würde, von meinem Schlafanzug und meinem verwirrten Haar, das ich morgens vorm Spiegel habe, dann wird das keiner kaufen. Sondern ich mache eine Stilisierung. Ich drehe ein Thema hoch, ich beschäftige mich mit einem Thema und das drehe ich so hoch, dass es Menschen berührt. Aber ich erzähle nichts intimes von mir selber. […] Ich rede über Stimmungen, die mich beschäftigen. Ich habe noch nie ein Lied öffentlich geschrieben, was irgendwas intimes von mir verraten hat. Sondern ich habe über ein generelles Thema gesprochen oder gesungen mit dem ich mich beschäftige. Und das beschreibe ich aber so künstlich (deswegen Kunst), dass es eben nicht mit meinem Privaten zu tun hat. Das ist ein Thema, das ich versuche als Thema zu bearbeiten, das ist wie ein Aufsatz, den ich schreibe […]. Dann würde ich einen Aufsatz schreiben, wie ich darüber nachdenke. Ich beschreibe nicht meine persönlichen Erfahrungen.«
ENGLISH
JOCHEN WEGNER: »You live from opening your feelings to recipients. People think, “Wow, this is a great album and look what has happened in his life.” Sometimes you even say that in interviews, “Yes, I wrote this for that reason. I was very much in love and thought this and that.« That means there is a very complicated balance between when you open up and when not. It is part of you and your art that you share your life with us.«
HERBERT GRÖNEMEYER: »No. That is de facto wrong. I don't share my life with my audience. I share my art with my audience. I stylize, I deal with topics. On the record Mensch I deal with the subject of grief. I don't tell you about my grief. I am dealing with the topic. When I write about love, I deal with love. It is a stylization. I don't sing documentaries. I clearly sing fiction, movies. I'm working on a topic. Every author or filmmaker will surely incorporate his private experiences. But what is he doing? He does a stylization. If I would sing in a documentary style about my pajamas and my tangled hair that I have in front of the mirror in the morning, nobody will pay me for that. But I'm doing a stylization. I raise a subject, I deal with a subject and I raise it so that it affects people. But I'm not telling anything intimate about myself. I'm talking about moods that concern me. I have never written a song in public that has revealed anything intimate about me. But I talked or sang about general topics that I deal with. And I describe it so artificially (therefore art) that it has nothing to do with my private life. It is a topic that I am trying to work on as a topic. It is like an essay that I am writing. Then I would write an essay on how I think about it. I am not describing my personal experiences.«